Patentrecherchen in der Unternehmenspraxis
Dr. Lars Zanzig
Die Informationen aus mittlerweile über 100 Millionen Patentakten weltweit stellen gleichzeitig einen wahren ‚Datenschatz‘ als auch eine sehr große Herausforderung dar, wenn für eine spezifische Fragestellung ein ganz bestimmtes Schutzrecht gefunden werden soll. Daher verwundert es auch nicht, dass trotz laufend verbesserter Datenquellen und Softwaretools die Qualität einer Patentrecherche maßgeblich von den Kenntnissen und der Erfahrung des Rechercheurs abhängt.
Als Basis für eine Patentrecherche kommen entweder kostenlose Datenbankzugänge in Frage, die von verschiedenen Patentämtern und von Google bereitgestellt werden, oder kostenpflichtige gewerbliche Anbieter. Letztere verfügen zumeist über den größeren Datenbestand und haben häufig ihre Daten mit nützlichen Zusatzinformationen angereichert.
Die verschiedenen Angebote unterscheiden sich zudem beispielsweise in dem Umfang und der Qualität der Rechtsstände und englischen Übersetzungen sowie in der Darstellung der Ergebnisse und den Exportmöglichkeiten.
Mit einer Übersichtsrecherche lassen sich viele Fragen beantworten, so z.B. welche Firmen in einem ausgewählten Technologiegebiet besonders aktiv Entwicklungsarbeit leisten (und viele Patente anmelden), auf welche technischen Merkmale sich die Patentanmeldungen fokussieren, ob zeitliche Entwicklungen erkennbar sind u.v.m. Diese Form der Recherche steht häufig ganz am Anfang, bevor ein richtiges Entwicklungsprojekt gestartet wird.
Darüber hinaus gibt es ‚klassische‘ Anlässe für die Durchführung einer Patentrecherche: beispielsweise die Prüfung einer Erfindungsmeldung im Vorfeld einer Patentanmeldung oder die Suche nach geeignetem Stand der Technik, wenn gegen ein Drittschutzrecht ein Einspruch eingelegt werden soll.
Außerdem sollte grundsätzlich vor der Markteinführung eines neuen Produktes mit Hilfe einer Patentrecherche geprüft werden, ob nicht Schutzrechte Dritter verletzt werden. Auf diese speziellen Aufgabenstellungen wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen.
Bevor der Aufwand für eine Patentanmeldung betrieben wird, ist es sinnvoll, mit einer kompakten Neuheitsrecherche zu prüfen, ob überhaupt eine realistische Aussicht auf Patenterteilung besteht. Das Ziel einer Neuheitsrecherche besteht vorrangig darin, auf möglichst effiziente Weise sicherzustellen, dass die Erfindung nicht bereits von Dritten zum Patent angemeldet wurde und damit nicht mehr neu ist. Wenn für die weitere Entwicklungsarbeit ausführliche Informationen zum Stand der Technik (SdT) erforderlich sind, empfiehlt sich eine umfangreichere SdT-Recherche.
Rechtsbeständigkeitsrecherchen werden zumeist in Vorbereitung eines Einspruchs oder einer Nichtigkeitsklage durchgeführt. Ziel einer solchen Recherche ist es, unter Berücksichtigung des jeweiligen Anmelde- oder Prioritätsdatum zuvor publizierten Stand der Technik zu finden, der die erfinderische Tätigkeit oder noch besser die Neuheit der patentierten Erfindung in Frage stellt. Hierfür wird häufig neben den Patentdokumenten auch die Nicht-Patentliteratur wie z.B. Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder Konferenzbeiträge berücksichtigt.
Eine Patentrecherche zur Überprüfung der Handlungs- oder Ausübungs- freiheit (engl. „Freedom to Operate“, kurz „FTO“) sollte in modernen Prozessen der Produktentwicklung fest verankert sein. Ziel dabei ist es, frühzeitig Schutzrechte von Drittunternehmen aufzuspüren, deren Ansprüche das eigene Produkt möglicherweise verletzen könnte. Wenn ein solches Risiko identifiziert wird, ergeben sich häufig verschiedene Handlungs- optionen. Man kann versuchen, eine Umgehungslösung zu entwickeln oder eine Lizenzanfrage starten oder versuchen, die Patentfähigkeit des ‚störenden‘ Schutzrechtes in Frage zu stellen.
Die Qualität der Recherche steigt, je konkreter sich die zu untersuchenden Merkmale des Produktes definieren lassen. In dem ersten Rechercheschritt wird mit Unterstützung geeigneter Softwaretools und Datenbanken nach in Kraft befindlichen Schutzrechten gesucht, die die Merkmale enthalten. In einer Feinanalyse vergleicht der Rechercheur bereits die Ansprüche der Patente oder Patentanmeldungen, um eine erste Relevanzeinschätzung abzugeben und den Entscheidungsträgern im Unternehmen oder den betreuenden Patentanwälten die Arbeit zu erleichtern.
FTO-Recherchen stellen stets eine schwierige Gratwanderung für den Rechercheur dar. Einerseits soll die Vollständigkeit gewährleistet sein, damit keine relevanten Dokumente übersehen werden. Andererseits muss auch die Anzahl der Dokumente, die einer Fein-Analyse unterzogen werden, begrenzt werden.
Je nach Anlass und konkreter Aufgabenstellung unterscheiden sich die Anforderungen an eine Patentrecherche beträchtlich. Dementsprechend variiert auch der Aufwand, der in eine solche Recherche investiert wird von einigen Stunden für eine einfache Neuheitsrecherche bis zu vielen Personentagen für eine umfangreiche Rechtsbeständigkeits- oder FTO- Recherche.
Qualitativ hochwertige Patentrecherchen erfordern in jedem Fall ein hohes Maß an Erfahrung, um einen effizienten Weg zu finden, die Ansprüche an Relevanz und Vollständigkeit der Dokumente zu erfüllen.